Hier
ein kleiner Bericht ueber die lusitanische Welt, in der ich lebe:
Die
Seele der Portugiesen ist erfuellt von einer fuer uns beinahe unbegreiflichen Sehnsucht nach utopischen Idealen und einem
nicht enden wollenden Schmerz ueber die unerfuellten Erwartungen.
Niemand
wird nach seinen tatsaechlichen Leistungen beurteilt. Familiennamen etwa wie „Schneider“, „Fischer“
„Fleischer“ sind unbekannt. Dafuer heisst man z.B. „Heiliger Geist“ oder ist nach Ortsnamen benannt
(„Kueste“,“Olivenbaum“,“Kreuz der Heiligen“). Figo heisst "Feige". Die Vornamen, insbesondere
die weiblichen, koennen „Maria vom Jesus“ oder „Maria der Auferstehung“ usw. heissen.
Das
Paradies liegt fuer den Portugiesen in der Vergangenheit. In der diesigen Welt lebt man gottverlassen und allein auf sich
gestellt, ohne dass man daran irgendetwas aendern koennte. Der Portugiese kennt keinen Ehrgeiz oder Ansporn.
Es
gibt wirklich nichts, womit ein Portugiese zufrieden waere und wohinter er nicht irgendeinen Angriff auf seine persoenliche
Unantastbarkeit und sein rechtmaessiges Wohlbefinden vermutet oder eine Herabwuerdigung oder Verschwoerung empfindet.
Es
geht um sein Gefuehl, was uns als Grosstun und Grossprecherei vorkommt ist hier selbstverstaendlicher Ausdruck des Selbstverstaendnis
und keineswegs boes gemeint.
Die
Protestanten, die ins Land kamen, mit ihren Erziehungsprogrammen und kuehl berechneder Vernunft wurden verteufelt und werden
heute noch mit einer Art Furcht respektiert aber im innersten abgelehnt, was mit Argumenten nicht zu beschreiben ist.
Hier
lebt noch die mittelalterliche Vorstellung, dass Gott das taegliche Brot gibt und die Vorgesetzten und Politiker sich irgendwie,
oft auf krummen Wegen, dazwischengestellt haben, um die „heiligen Rechte“ zu verwalten. Von der Wiege bis zur
Bahre sieht sich der Portugiese unter der Obhut der Obrigkeit. Eine Eigenverantwortung ist ihm fremd.
Eine
Haftung oder Verantwortung wird grundsaetzlich auf die anderen geschoben.
Fragt man, wer fuer die Loecher in den Strassen, den Einsturz von Bruecken usw. verantwortlich ist, stellt man fest,
dass eine Vielzahl von Instituten gleichzeitg mit Genehmigung und Aufsicht betraut waren, sodass jeder Prozess der Opfer sich
in Verjaehrung verliert.
Solche
"Institute" dienen regelmaessig der Altersversorgung vormals politischer Steigbuegelhalter, sind mit nebuloesen Kompetenzen
ausgestattet und mangels jeglicher Sachkenntnisse ihrer Mitarbeiter, die bei jedem Regierungswechsel gleichfalls ausgetauscht
werden, jedem Fortschritt in Portugal hinderlich.
Wem
die Not zu gross wurde, ist ausgewandert. So blieben die Verhaeltnisse bis heute unveraendert.
Fussball,
Fado, Fatima, sind die wichtigtesten Grundlagen der portugiesischen Seele.
Im
Fussballclub findet man seine kleine Auferstehung aus der weltlichen Leere als ein Heim fuer Koerper und Seele. Verliert der
Club ein wichtiges Spiel, ist der „Sozius“ unfaehig zu essen, beleidigt und betruebt, er wird regelrecht krank.
Clubmitgliedschaften sind erblich, verleihen Status, Wuerde, Nachbarschaftshilfe und wer moechte auch eine gemeinsame Grabstaette.
Vonwegen
Gaudi, Spass und Wettkampf. Fussball, das ist in Portugal bitterer Ernst, weil es dem Portugiesen ein Zuhause schafft. Der
friedfertigste wird laut und hitzig, wenn jemand seinen Club in der Ehre kraenkt.
Wen
wundert´s dass das Sportministerium mehr Geld ausgibt als das Erziehungsministerium
Ansonsten
redet er nicht mit seinen Nachbarn, mit seinen Vorgesetzten auch nicht, Misstrauen bei allen anderen. Die Portugiesen sind unverbesserliche und hagestolze Individualisten: was in seiner Umgebung geschieht,
sei es privat, beruflich oder politisch, geht ihn nichts an. Ist er selbst betroffen gruendet er eine Interessengemeinschaft
zum protestieren, blockieren und debattieren aber das naechstliegende, Hammer und Nagel um Fussballtore am Umstuerzen zu hindern,
was etlichen Kindern jaehrlich das Leben kostet oder einen Besen zum Kehren seiner Strasse, ruehrt er nicht an.
Fado,
das, meine lieben Leser, versoehnt uns mit Portugal. Hier wird ein Portugiese dem
Naechsten zum Bruder, hier fand ich Ruhe und Besinnung, hier erlebt man den Zauber
einer nicht religioesen Heiligkeit.
Der
Fadosaenger singt keine Ballade(wie die Franzosen), kein Liebeslied (wie Schubert) oder Freiheitslied(wie die Italiener) nein,
er singt ein Fado und oeffnet damit einen Teil seines innersten Herzens. Und
weil mich alles wie an einen Gottesdienst erinnernt kann ich es Euch nur so beschreiben: Alles was das Fado umgibt, ist dem
Portugiesen soetwas wie heilig. „Fado“ heisst auch : Verhaengnis, Schicksal.
Zum
Abendessen oder danach, etwa ab 22 Uhr, betritt man das Fadolokal, am schoensten sind die kleinen, die in alten Hausern mit
verwahrlosten Fassaden, an welchen Waesche wedelt, zum Trocknen aufgehaengt, an engen kopfsteingepflasterten, schraegen Gassen
mit ihren gelblich leuchtenden altertuemlichen Laternen.
Die
Waende des Lokals bestehen oftmals aus klobigen grossen Granitsteinen.
Die
portugiesische Guitarre ist eigentuemlich auf moll-gestimmt.
Zwei
Guitarristen, toternst, ein jeder koennte auch Philosophieprofessor sein, beginnen das Fado, ein jeder verstummt, der Raum
wird dunkel, rotes Licht scheint auf den Saenger, mancherorts in eine Kutte gehuellt, und die Guitarristen.
Den
Refrain summen die Zuhoerer, wie in Trance, erst leise dann allmaehlich die Stimme anhebend, - Du meinst, draussen sei der
Weltuntergang geschehen – und erst wenn der Fadosaenger die Ueberwindung seines besungenen Leids mit lauten Akkorden
ankuendigt, erwachen die Zuhoerer wie zu neuem Leben erweckt und danken dem Saenger mit Applaus, Lob und dem Zufruf: Fadista.
In
vielen Lokalen ist ein jeder der Gaeste ausser mir ein begnadeter Fadista, d.h.Fadosaenger, viele treffen erst spaeter hinzu
und erst im Morgengrauen verlaesst man das Lokal. Studenten, Alt und Jung, Arm
und Reich, hier, und nur hier, sind alle vereint: in Poesie, Sehnsucht, Heimweh,
Weltschmerz, Mutterliebe und mit feuchtem Glanz in den Augen.
Spanisch
ist die Sprache der Dramaturgen, portugiesisch die der Lyriker.
Fatima,
ein moderner und dennoch tief in der Religioesitaet verwurzelter Wallfahrtsort.
An
den Strassen pilgern die Glaeubigen aus ganz Portugal kommend, fuer die letzten 100 Meter ist auf dem riesigen Platz eigens
eine Kriechspur aus Marmorplatten eingelassen.
Es
ist ein erschuetternder Anblick, der mich fassungslos macht, wenn ich die Geisselung sehe, die sich Menschen als Geluebde
selbst auferlegt haben.
Man
huete sich, jemanden und sei er noch so aufgeschlossen und gebildet zu fragen, was denn wirklich in Fatima geschehen sei,
man koennte sich die Zunge verbrennen. Das Wunder steht ausser jedem Zweifel.
Es hat die Sonne gewackelt und alle haben es gesehen. So wurde die Hl.Jungfrau
Schirmherrin des Landes und wird verehrt wie die leibliche Mutter aller. Die Portugiesen fuehlen sich als
das von Ihr auserwaehlte Volk, mehr noch, es ist unleugbar geschichtliche Wahrheit.
Der
Poet Camões, aehnlich wie Homer, hat die Heldentaten des kleinen Volkes der Portugiesen ergreifend beschrieben. Jeder Portugiese
hat so erfahren, dass das Salz der Weltmeere die Traenen seiner Seefahrer, unzaehliger Witwen und Braeute sind.
Man
wollte unter dem Zeichen des Kreuzes die christlichen Reiche in Afrika oder Indien
entdecken, wohin der Hl Thomas gezogen war.
Portugal
sehnt sich seither, der Welt oder zumindest Europa eine Befreiung in christlicher paradiesischer Erleuchtung, ein neues Weltreich,
zu schenken.
Tatsaechlich
war Portugal stets von den Machtinteressen Englands abhaengig. England produzierte Textilien, die man zum
Tausch im Gewuerzhandel teuer einkaufen musste, England entwickelte den Portwein, ein Verschnitt des Rotweins mit Cognac um
ihn transportfaehig zu machen, England knoepfte den unerfahrenen Portugiesen das Gold Brasiliens ab.
England
garantierte dafuer die nationale Unabhaengigkeit.
Die
Logen wie das Opus Dei hatten und haben hier einen gewichtigen Einfluss. Der "Kulturkampf" in Portugal wurde blutig ausgefochten.
Der
Buchhalter, ein Wirtschaftsprofessor, Salazar hat zwar erstaunlich erfolgreich versucht, das Land aus einem Buergerkrieg der
Religionen, aus Weltkrieg, Flower-Power und Staatsverschuldung herauszuhalten, die bankrottnahe Verschuldung an England
zu beenden und in den ueberseeischen Provinzen eine Politik der Entwicklung anstelle der blossen jahrhundertelangen Besatzung
einzufuehren. Aber der Kolonialkrieg, von Kennedy gefoerdert, fuehrte zu einer ausweglosen Lage. Selbst die Kirche stand nicht
mehr auf Portugals Seite.
Am
25. April 1974 hat eine Militaerrevolte die neue Zeit eingelaeutet.
Es
handelte sich um einen Staatsstreich – keine Revolution: Erst als schon alles vorbei war, lief das Volk auf die Strassen
und feierte die neuen Machthaber. Dass man den Portugiesen diesen Staatsstreich als "Revolution" verkauft zeigt, wie wichtig
es ist, einem Portugiesen zu schmeicheln
Die
Sozialdemokratische Partei war zuvor in Bad Muenstereifel (!) gegruendet worden.
Wie
eine Herde Schafe traeumte unterdessen das Volk von Frieden, Freiheit und Reichtuemern in den ueberseeischen Provinzen, frei
wie Brasilien, wenn man nur auf die friedenswilligen Woelfe hoeren wuerde, die nur verlangten, den Schaefer und die Schaeferhunde
abzuschaffen.
Seither
ist Portugal, gaebe es nicht die europaeischen Uberweisungen und die der in aller Welt arbeitenden Emigranten, so nennt man
die im Ausland beschaeftigten Arbeiter, zahlungsunfaehig. In Krankenhauesern
Zustaende wie in Krisengebieten, Wartezeiten bis 10 Jahre (!).
Doch
insgeheim und trotz Wirtschaftskrise traeumt das Volk noch immer, angeleitet und in die Irre gefuehrt von allen, die nicht
mit Arbeit ihr Geld verdienen muessen, und es ist bewunderungswuerdig zu sehen, wie hart und geduldig die erwachsenen Portugiesen
arbeiten und den Waehrungsverfall, der als Preissteigerung empfunden wird, als Schicksal hinnehmen .
Inzwischen
verlassen beinahe die Haelfte aller Schueler die Schule ohne Hauptschulabschluss....